Keel philosophiert... Diesmal über Kontrolle

05.06.2019 - Menschen

Artikel von Albert Keel

Keel Philosophiert Diesmal Ueber Kontrolle

«Alle Billette vorweisen bitte!» höre ich durch das Abteil rufen. Muss das sein, frage ich mich. Denn gerade jetzt möchte ich nicht gestört werden. Möchte nicht mein Handy hervorkramen, in der Wallet nach dem Ticket suchen, warten bis der Kontrolleur endlich da ist und mir ein freundliches «Dankeschön und gute Fahrt» rüberhechelt.

Keel philosophiert… Diesmal über Kontrolle
Bin grad mitten in meinen Gedanken zum Thema «Kontrolle». Immer diese Kontrollen. Alles wird kontrolliert. Im Internet ausspioniert. Immer dieses sich ausweisen, sich rechtfertigen müssen. Zeit nutzlos zu verschwenden. Mir geht das Ganze gehörig auf den Sack.

Und während ich genervt auf den Kontrolleur warte, denke ich, eigentlich gut, dass es solche Kontrollen gibt. Ich halte mich an die Vorschriften. Kaufe brav mein Ticket. Verhalte mich konform. Und da gibt’s sicher wieder den einen oder die andere, die «schwarz» fährt. Und die sollen nur erwischt werden. Und plötzlich nehme mich mir Zeit. Horche, ob er jemanden antrifft, der kein Ticket hat. Komme mir vor wie ein schadenfreudiger Voyeur auf der Lauer. Aber nichts passiert. Mein geheimer Wunsch verpufft. Auch gut, denke ich. Und widme mich wieder meinen Gedanken zu «Kontrolle».

Wie ambivalent doch das Thema Kontrolle ist. Meist nerven wir uns bei der Pass- und Gepäckkontrolle am Flughafen, weil es wieder mal piepst und eine Leibesvisitation ansteht oder das Handgepäck separat durchgecheckt wird. Doch ich glaube kaum, dass wir in jedes Flugzeug steigen würden, wären da nicht intensive und oft auch unangenehme Kontrollen, die Entführer oder Attentäter abschrecken oder aufhalten. Oder die Radarkontrollen. Einerseits sind die für mich Schikane. Geldmacherei. Unnötige Verkehrsbehinderer. Andererseits weiss ich nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn ein Raser meine Partnerin, meine Tochter oder jemand anderen einfach totfahren würde. So nervig die Kontrollen sind, so wichtig und gut sind sie.

Ich selber bin ja ein Kontrolleur. Gebe Anweisungen, verteile Aufgaben, lege Termine fest. Vertraue zwar, dass dann alles erledigt wird. Aber wenn ich einem Kunden oder sonst jemandem etwas versprochen habe, also die Wichtigkeit für mich aufgrund eines Versprechens hoch ist, dann erwische ich mich immer wieder, dass ich vor Ablauf der Zeit nachfrage, ob alles gut sei, ob wir im Zeitplan sind, ob noch Fragen anstehen, ob das Projekt, die Aufgabe nicht vergessen wurde. In solchen Situationen kann ich zum Kontrollfreak werden, obwohl bei meinen Mitarbeitenden alles in guten Händen ist.

 

Wenn wir selber die Kontrolle über die Kontrolle haben, dann ist die Kontrolle etwas Gutes. Etwas Wichtiges. Etwas, das man auch wertschätzend einsetzen kann. Doch es gibt Situationen, da entgleitet einem die Kontrolle. Ganz unerwartet. Meist schleichend. Man spürt den nahenden Kontrollverlust. Beispielsweise in der Partnerschaft.

Alles war bis anhin okay. Heile Welt. Voll unter Kontrolle. Etwas langweilig zwar, in der Komfortzone verharrend, doch immer noch irgendwie gut. Kein offensichtlicher Grund für Veränderungen. Und plötzlich sind da Anzeichen, Signale, Begebenheiten, die irgendwie ein komisches Gefühl, ein Unbehagen verursachen. Stimmt noch alles? Wieso hat sie plötzlich Abendtermine? Weshalb schminkt sie sich jeden Morgen 10 Minuten länger und zieht sich attraktiver an? Warum geht sie nach Jahren wieder regelmässig ins Pilates oder ins Gym? Und plötzlich wirst du wach. Bist sensibilisiert auf alle Veränderungen. Statt zu reden fängst du an, in ihrer Handtasche zu wühlen, an den Kleidern nach fremden Düften zu schnuppern, jedes Wort, jede Regung zu deuten. Und du fühlst den schleichenden Kontrollverlust. Erahnst, was es heisst, ohnmächtig einer neuen Situation gegenüber zu stehen. Wenn einem plötzlich etwas Wertvolles, Wichtiges, einen Teil des Lebensinhalts entgleitet. Und aus Kontrolle, aus Vertrauen entsteht plötzlich Misstrauen, Unsicherheit, Angst, Verlustangst. Das Selbstwertgefühl schwindet. Scheissgefühl. Blöde Situation. Kennen Sie das?

Und statt reden, verstärken wir die Kontrollen und geraten so immer mehr ins Abseits. Denn es kann ja sein, dass die Partnerin mit einer Beförderung spekuliert und sich deshalb ins Zeug legt. Sich neue Ziele gesetzt hat oder eine Konkurrentin am Arbeitsplatz ausstechen will. Muss ja nicht grad ein Verhältnis dahinter stecken und eine Beziehungskrise auslösen!

Ja, Kontrolle ist kontrovers, ist zwiespältig. Und dem Sprichwort «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» kann ich nicht wirklich viel abgewinnen. Ob Vertrauen oder Kontrolle oder beides, das hängt sehr stark vom Kontext ab. Was löst das Wort Kontrolle bei Ihnen aus? Schreiben Sie mir Ihre Meinung.

Ihr Albert Keel